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Zwischen Brüsseler Blockade und neuer Flexibilität: Wohin steuert der Automarkt?

Die europäische Automobilindustrie steht vor richtungsweisenden Wochen, die sowohl für Hersteller als auch für Verbraucher für erhebliche Unsicherheit sorgen. Während in Brüssel hinter verschlossenen Türen um die Zukunft des Verbrennungsmotors gerungen wird, suchen Autofahrer zunehmend nach Alternativen zum klassischen Fahrzeugkauf. Ein Bericht des Handelsblatts legt nahe, dass die Europäische Kommission die Ankündigung eines umfassenden Pakets zur Unterstützung des Automobilsektors verzögern könnte. Im Zentrum dieses politischen Tauziehens steht das eigentlich für 2035 geplante Aus für neue Verbrennungsmotoren. Offenbar wächst der Druck, dieses Verbot aufzuweichen oder zumindest den Zeitplan anzupassen – eine Position, für die insbesondere Deutschland und die großen Automobilhersteller intensiv lobbyieren.

Unsicherheit beflügelt alternative Nutzungsmodelle

Inmitten dieser regulatorischen Unklarheit scheuen viele Verbraucher langfristige Bindungen an eine bestimmte Antriebstechnologie. Wer heute nicht weiß, ob sein Benziner oder Diesel in zehn Jahren noch willkommen ist, mietet lieber, statt zu kaufen. Dieser Trend spiegelt sich deutlich in einer aktuellen Umfrage des Beratungsunternehmens PwC wider. Die sogenannte „Share Economy“ erobert nach dem Film-Streaming und Wohnungsplattformen wie Airbnb nun endgültig die Straße. Doch während Carsharing oft nur Minuten oder Stunden abdeckt, etabliert sich mit dem „Auto im Abo“ ein Modell, das die Lücke zwischen Kurzzeitmiete und Leasing schließt.

Das Versprechen der Anbieter klingt verlockend: Ein „Rund-um-Sorglospaket“ ohne Inspektionsstress, Anmeldeformalitäten oder langwierige Kaufverhandlungen. Anders als beim klassischen Carsharing teilt man das Fahrzeug nicht täglich mit Fremden, sondern behält es für einen festgelegten Zeitraum. Die Flexibilität steht dabei im Vordergrund – im Winter ein SUV, im Sommer ein Cabrio und danach ein praktischer Kombi.

Das Münchner Modell: Flexibel, aber mit Einstiegshürde

Der Markt für diese Auto-Abos füllt sich zusehends mit neuen Akteuren. Das Münchner Start-up „Moyem“ beispielsweise wirbt mit monatlichen Raten ab 259 Euro für einen viertürigen Opel Corsa mit 90 PS. Die Mindestlaufzeit beträgt sechs Monate, danach können Kunden mit einer Frist von drei Monaten das Fahrzeug wechseln – etwa auf einen elektrischen Renault Zoe für 399 Euro oder einen VW Caddy für 319 Euro monatlich.

Christina Maria Polleti, Gründerin von Moyem, beschreibt ihr Produkt als eine Mischung aus Neu- und Gebrauchtwagen: Wird ein Auto zurückgegeben, erhält es der nächste Interessent. Eine Neuwagengarantie gibt es folglich nicht. Zudem müssen Kunden das Kleingedruckte beachten. Zwar sind Versicherung, Wartung, Reifen, Steuer und HU im Preis enthalten, doch das Tanken bleibt Kundensache. Hinzu kommt eine Startgebühr von 299 Euro, die einer Art Clubbeitrag ähnelt. Auch die Kilometerpauschale ist gedeckelt: Der Corsa ist bis 1.250 Kilometer im Monat inklusive; wer mehr fährt, zahlt drauf, wobei eine Obergrenze von 1.750 Kilometern gilt. Bei der Rückgabe wird das Fahrzeug gecheckt und Schäden werden abgerechnet. Auf die Frage nach Luxusmarken wie Porsche antwortet Polleti zurückhaltend: Diese seien zwar geplant, blieben aber voraussichtlich einer VIP-Klientel vorbehalten.

Die Kölner Konkurrenz und der Vergleich zum Leasing

Einen etwas anderen Ansatz verfolgt das Kölner Unternehmen „Like2Drive“. Hier starten die Preise noch aggressiver, etwa mit dem Kleinstwagen Seat Mii ab 199 Euro im Monat. Anders als bei der Münchner Konkurrenz gibt es keine Startgebühr und die Flotte besteht ausschließlich aus Neuwagen. Dafür binden sich Kunden länger: Die Verträge laufen mindestens zwölf Monate, beinhalten dafür aber großzügigere 17.000 Freikilometer. Nach Ablauf des Jahres kann ein neues Fahrzeug ausgesucht werden.

Kritiker werfen oft ein, dass diese Modelle lediglich wie kurzfristiges Leasing aussehen. Agnes Plümer von Like2Drive widerspricht dieser Einschätzung jedoch vehement. Der entscheidende Unterschied liege im „All-inclusive“-Charakter. Während sich Leasingnehmer selbst um Versicherung und Steuern kümmern müssten, seien diese Posten im Abo bereits abgedeckt. Dennoch hat dieser Komfort seinen Preis. Ein direkter Vergleich zeigt: Wer einen vergleichbaren Opel Corsa direkt beim Hersteller least, zahlt bei einer Laufzeit von 36 Monaten monatlich rund 166 Euro – deutlich weniger als im Abo. Wer das Auto intensiv zum Pendeln nutzt, läuft bei den Abo-Modellen zudem Gefahr, in teure Zusatzkosten für Mehrkilometer zu rutschen. Bei Moyem werden beispielsweise ab einer gewissen Grenze 20 Cent pro Extra-Kilometer fällig.

Verbraucherschützer sehen Potenzial

Trotz der höheren Kosten bewerten Experten die Entwicklung positiv. Marion Jungbluth vom Verbraucherzentrale Bundesverband sieht in den Abos ein „cooles Angebot“ für Menschen, die sich nicht langfristig binden wollen. Begriffe wie Flatrate und Abo seien moderne Marketinginstrumente, die den Nerv der Zeit treffen. Die Vorteile liegen für sie auf der Hand: kurze Kündigungsfristen und übersichtliche Kostenstrukturen. Allerdings mahnt sie zur Vorsicht bei Details wie der Selbstbeteiligung im Schadensfall, die bei einigen Anbietern mit 700 Euro relativ hoch ausfällt. Insgesamt begrüßt sie jedoch die neuen Ideen, die den Verbrauchern Alternativen zur teuren klassischen Automiete bieten.

Blick über den Atlantik: Extreme Flexibilität

Dass der Trend zur flexiblen Nutzung weiter an Fahrt aufnehmen wird, bestätigen die Analysten von PwC. Sie erwarten, dass der Markt für Mobilitätsdienste in Deutschland im kommenden Jahr um 23 Prozent wachsen wird. Bereits heute nutzen 16 Prozent der Deutschen Dienste wie Car2Go oder FreeNow.

Wie radikal sich der Markt entwickeln könnte, zeigt ein Blick in die USA. Dort treibt das Mobilitätsportal „Fair“, finanziert unter anderem von BMW und Daimler, das Konzept auf die Spitze. Über eine App haben Kunden Zugriff auf 300 verschiedene Marken und können ihr Fahrzeug mit einer Frist von nur fünf Tagen zurückgeben. Das Angebot umfasst bis zu sechs Jahre alte Gebrauchtwagen. Ein Ford Fiesta ist dort bereits für umgerechnet rund 130 Euro im Monat zu haben. Yasmin Moaven von Fair kündigte bereits an: „Wir werden definitiv auch nach Europa kommen.“ Wann genau dieses ultra-flexible Modell hierzulande verfügbar sein wird, bleibt – ähnlich wie die endgültige Entscheidung über das Verbrenner-Aus in Brüssel – vorerst noch offen.